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Strahlenangst, deren Ursachen, Folgen und Therapie
von Prof. Dr. K. Becker, Berlin, 2004

Die angeblich noch offene, tatsächlich aber längst technisch gelöste und nur politisch blockierte Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, ebenso wie vorgebliche, tatsächlich aber nie nachgewiesene technische Risiken der deutschen Kernkraftwerke werden immer wieder als Ausstiegsgründe für die Kernenergie genannt.

Es bestehen kaum Zweifel, dass eine der wesentlichen, auch diesen Argumenten zugrunde liegenden, Ursachen und damit der Hauptgrund für die derzeit ungenügende öffentliche Akzeptanz der Kernenergie in Deutschland als sicherer, preiswerter und umweltfreundlicher Primärenergiequelle die weitverbreitete Strahlenfurcht (Radiophobie) ist.

Daher ist es erforderlich, sich mit Lösungsvorschlägen zum Umgang mit Strahlenfurcht zu beschäftigen.

Die weitere wissenschaftliche Beschäftigung erscheint dabei wenig zielführend, da derzeit nur Mittel für Vorhaben zur weiteren Suche nach bionegativen Effekten verfügbar sind.

Wichtige Voraussetzung für ein Umdenken sind entsprechende Initiativen der relativ wenigen, hinreichend unabhängigen und tatsächlich in ihrer wissenschaftlichen Reputation ausgewiesenen Fachleute. Solche Initiativen sind inzwischen in zahlreichen Ländern und Regionen der Welt zu beobachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass, wie erfahrene Fachleute immer wieder darauf hinweisen, die Risikoakzeptanz keine Frage sachlicher Argumente, sondern von Emotionen ist.

Psychologisches und pädagogisches Einfühlungsvermögen sind sicher wichtige Elemente für die Änderung der öffentliche Meinung im Interesse einer realistischeren Strahlenrisikobewertung und Kernenergieakzeptanz.

Die angeblich noch offene, tatsächlich aber längst technisch gelöste und nur politisch blockierte Frage der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle, ebenso wie vorgebliche und nie nachgewiesene technische Risiken der deutschen Kernkraftwerke werden immer wieder als Ausstiegsgründe für die Kernenergie genannt. Es gibt jedoch kaum Zweifel, dass eine der wesentlichen, auch diesen Argumenten zugrunde liegenden, Ursachen und damit der Hauptgrund für die derzeit ungenügende öffentliche Akzeptanz der Kernenergie in Deutschland als sicherer, preiswerter und umweltfreundlicher Primärenergiequelle die weitverbreitete Strahlenfurcht (Strahlenphobie) ist.

Symptome und Geschichte

Die Diagnose ist einfach: Es handelt sich um eine exzessive, gelegentlich nur akute, aber inzwischen auch häufig chronische und von den Medien und geschürte Angst vor unbewiesenen gesundheitlichen Risiken infolge kleiner und kleinster Dosen ionisierender Strahlung aus dem nuklearen Bereich. Dabei werden beträchtlich höhere, stark regional fluktuierende Expositionen durch die natürliche Umgebungsstrahlung und die medizinischen ”Strahlenbelastungen“ weitgehend ignoriert oder wohlwollend in Kauf genommen, falls sie nicht seitens Interessengruppen aus ökonomischen Gründen als ”Risiko“ instrumentalisiert werden.

Die Geschichte dieses volkswirtschaftlich und umweltpolitisch sehr bedenklichen Phänomens ist gut dokumentiert. Bis in die 1940er Jahre wurden mäßig erhöhte Strahlenexpositionen durchweg als gesundheitsfördernd bewertet. Die Beispiele von Radium- bzw. Radon-Quellen (wobei diese Begriffe oft synonym verwendet wurden) für den externen oder häuslichen Gebrauch sind für eine komplette Auflistung zu zahlreich. Erwähnt seien als typische Kuriositäten dieser Zeit Ra-imprägnierte Bettdecken, ”Emanatoren“ zur Herstellung radioaktiven Trinkwassers, sowie eine 1931 in Berlin patentierte Schokolade, bei deren Herstellung Radiumbromid zugefügt wurde, um damit aufwendige Reisen in die schon damals florierenden Radon/Radium-Heilbäder 1 überflüssig zu machen.

Nach dem Kernwaffeneinsatz in Japan und dem Anstieg des globalen Fall-out durch oberirdische Kernwaffentests stieg die Befürchtung vor genetischen Spätfolgen, die inzwischen – u.a. durch sorgfältige Auswertung der inzwischen drei Generationen von Hiroshima- und Nagasaki-Überlebenden, wie auch durch die Analyse der Bewohner um Tschernobyl in den letzten 18 Jahren – entkräftet wurden. Strahlenbedingt erhöhte Häufigkeiten von Missbildungen oder anderen angeborenen Schäden wurden auch in den Kollektiven in Gebieten mit sehr hoher natürliche Exposition, wie in Kerala/Indien oder Ramsar/Iran, nie nachgewiesen. In den 1950er Jahren entstanden jedoch „Friedensbewegungen“, und großtechnikfeindliche, ökologie-orientierte Gruppierungen mit einer starken Anti-Kernkraft-Komponente, aus denen später auch eine Partei hervorging.

Diese instrumentalisierte besonders seit 1986, durch Übertreibung der radiologischen Folgen des Tschernobyl-Unfalls die schon vorher geschürte Radiophobie – ungeachtet der Fakten, wie zum Beispiel dem Vergleich von 32 Tschernobylopfern und den mit besten Erfolgen heilbaren kindlichen Schilddrüsenkrebsfällen einerseits, mit den sehr viel größeren Schäden anderer Arten der Energieerzeugung Tausenden von Toten im chinesischen Steinkohle-Bergbau andererseits. Laut einem UNSCEAR-Bericht sind tatsächlich langfristige Gesundheitsschäden infolge der relativ geringen Dosen im Umfeld des Tschernobyl-Unfalls nicht nachweisbar 2. Horrorszenarien hinsichtlich Spätschäden und absurde Maßnahmen wie die großzügige Lebensmittelvernichtung in manchen deutschen Bundesländern, die inzwischen weltweit belachte “Dekontamination der Strahlenmolke“, die absurde Reduktion internationaler Grenzwerte in Hessen etc., trugen zur weiteren Verunsicherung der Bevölkerung bei. Diese führte letztlich zu den wohlwollend gebilligten ”Kreuzzügen“ gegen Castor-Transporte, regelmäßigen ”Gorleben-Festspielen“ und anderen für den Steuerzahler bzw. Stromverbraucher teuren Absonderlichkeiten.

Trotz in den letzten Jahren auch staatlich geförderter Strahlenphobie erfreuen sich therapeutische Niedrigdosis-Strahlenanwendungen, beispielsweise in der Behandlung schmerzhafter arthritisch-rheumatischer Gelenkerkrankungen und von Morbus Bechterew (einer schmerzhaften Rückgratverkrümmung) durch Radonheilbehandlungen, unverändert großer Beliebtheit. So wurde im Zentrum des Wismut-Sanierungsgebietes, wo seit der Wiedervereinigung insgesamt etwa 2 Mrd. Euro an Bundesmitteln für die Messung und Reduktion kleiner Radonexpositionen der Bevölkerung verschwendet wurden, vor einigen Jahren das alte Radonbad Schlema mit großem Erfolg wiedereröffnet. Jährlich werden allein in Deutschland, Österreich und Tschechien in 17 Radonbädern etwa 75 000 Patienten (meist auf Kosten der Krankenkassen) behandelt. Der langfristige Behandlungserfolg – im Gegensatz zu kurzfristig schmerzlindernden Medikamenten mit schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Magen- und Darmblutungen – wurde im letzten Jahrzehnt mehrfach durch randomisierte Doppelblindstudien (bekannt als ”Goldstandard des klinischen Wirksamkeitsbeweises“) nachgewiesen 1.

Folgen der Radiophobie

Ganz allgemein häufen sich weltweit – nicht zuletzt infolge erheblicher Fortschritte in molekularer und zellulärer Strahlenforschung – die Hinweise, dass die ICRP-Hypothese einer Nichtschwellen-Dosis-Wirkungsbeziehung (LNT = Linear No Threshold), die den deutschen und EU-Strahlenschutzverordnungen zugrunde liegt, nicht mit den experimentellen Befunden vereinbar ist 3, 4. Die seit Anfang der 1990er Jahre zunehmende Divergenz zwischen den wissenschaftlichen Fakten und den regulativen Annahmen führte zunächst zu einer sich stärker ausprägenden Polarisierung zwischen wissenschaftlichem Kenntnisstand und ”offiziellen“ behördlich-regulativen Dogmen. Dazu gehörten u. a. die sinnlose Anwendung der Kollektivdosis durch Multiplikation rein hypothetischer ”Schäden“ kleinster Dosen mit hohen Bevölkerungszahlen und grotesken „Folgeabschätzungen“ sowie absurd niedrigen Grenzwerten wie 0,01mSv/Jahr für ”radioaktive“ Abfälle 5. Interessant ist in diesem Zusammenhang beispielsweise ein neuerer Beitrag über Strahlung und irrationale Furcht 10.

Bedeutsamer sind die ökonomischen und ökologischen Folgen einer ideologischen Antikernkraftpolitik. Von den ins Sinnlose übersteigerten behördlichen Auflagen bei Sanierungs- und Rückbaumaßnahmen lebt inzwischen eine florierende Industrie. Die politisch verordneten Kosten alternativer Energien sind im Begriff, durch überhöhte Strompreise energieintensivere Industrien aus Deutschland unter Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen zu exportieren. Eine zentrale Rolle spielen dabei die sowohl ökologisch wie auch aus Landschaftsschutzgründen umstrittenen Windkraftparks.

Allein durch eine Verlängerung der Betriebsdauer der deutschen Kernkraftwerke von 32 auf 40 Jahre – in den USA sind es inzwischen für viele Anlagen 60 Jahre – könnten bis 2020 rund 500 Millionen t CO2 eingespart und zusätzlich Kosten für die Volkswirtschaft in Höhe von 17 Mrd. Euro vermieden werden. Ein 15%-iger Windstromanteil hingegen würde etwa 50 Mrd. Euro zusätzlich kosten, was einer volkswirtschaftlichen Differenz zum Kernenergieeinsatz von 67 Mrd. Euro entspricht. Die Subvention von ca. 73 000 Euro pro Mannjahr für Windkraftanlagen entspricht für die Hälfte der Weltbevölkerung übrigens etwa 100 Jahreseinkommen.

Ein neueres afrikanisches Sprichwort lautet demgemäß auch: ”You have to be White before you become green.“

Mögliche Komplikationen: zum Beispiel “Dirty Bombs”

Wer schon durch die Folgen des Tschernobyl-Unfalls den sozialen, ökonomischen und politischen GAU in Deutschland für erreicht hält, könnte durch Entwicklungen in den letzten Jahren eines noch schlechteren belehrt werden. Die Gefahr, dass terroristische Angriffe auf Kernkraftwerke zu Gesundheitsschäden in der Bevölkerung der Umgebung führen oder der Einsatz von Nuklearwaffen durch nichtstaatliche Terroristen wird von Fachleuten aus vielerlei Gründen derzeit als sehr klein eingestuft. Hingegen stellen radioaktivitätsverteilende Einrichtungen (engl. RDD = Radioactivity Dispersing Devices, ”Schmutzige Bomben“ oder „Dirty Bombs“) nach Expertenmeinung ein tatsächliches und hohes psychologisches und ökonomisches Risiko dar, das allerdings nicht auf den tatsächlichen Strahlenwirkungen, sondern auf der seit Jahrzehnten propagierten Strahlenphobie beruht.

Die Gefahr terroristischer Anschläge liegt nicht im tatsächlichen Schaden, sondern in der optimalen Medienwirksamkeit. So kamen bei den Anschlägen am 9.11.2001 ca. 2400 Personen ums Leben, im gleichen Jahr jedoch in den USA 42 000 durch Autounfälle, 20 000 durch Grippe, und 12 000 durch ”konventionelle“ Morde. Die Medienresonanz basiert auf eindrucksvollen Bildern und schneller Berichterstattung. Dabei kommen Fachleute, die zunächst Lage und Folgen analysieren müssen, im Gegensatz zu Pseudo-Experten mit vorgefertigten Ansichten naturgemäß kaum zu Wort – und darin liegt die Gefahr von RDD. Konventionelle Sprengstoffe zur Verteilung radioaktiver Substanzen ergeben die größte Medienwirksamkeit, auch wenn andere Verbreitungsmechanismen erheblich wirksamer wären.

Es fehlt weder an potentiellen Quellen noch an Zielen. Quellen sind die zahlreichen weltweit verbreiteten ”orphan sources“, d. h. die zahlreichen nicht registrierten und gesicherten Strahlenquellen in Entwicklungs- und Industrieländern, z. B. Strahlentherapie Quellen und Materialprüfgeräte, sowie früher wertvolle inzwischen aber wertlose Ra-226-Quellen. In der ehemaligen Sowjetunion gibt es z. B. herumliegende thermoelektrische Anlagen mit 40 000 Ci Sr-90, fahrbare Großbestrahlungsanlagen, Am/Be-Neutronenquellen für geologische Zwecke usw. Als Ziele kämen wichtige Zentren der Verwaltung, Kommunikation, Energieversorgung, Gesundheitsfürsorge, öffentlichen Sicherheit usw. in Frage.

Es herrscht allgemeine Übereinstimmung, dass Dirty Bombs außer den Schäden durch die konventionelle Explosion keine oder nur sehr geringe radiologische Wirkungen haben und sich die Gesundheitsschäden auf Stress, Angst, Panik und andere psychogene Effekte beschränken würden. Dirty Bombs verursachen lediglich Panik und Kosten 6. Radiophobie ist das Zentralproblem – infolge des emotionalen Charakters der Strahlung, der über Jahrzehnte durch Medien und antinukleare Ideologen sorgfältig gepflegt wurde. Ähnliche Kräfte wären auch in Falle eines Anschlages wirksam. Die American Nuclear Society (ANS) veröffentlichte kürzlich ein Weißbuch mit der Folgerung: ”Eine RDD würde vor allem psychologische, soziale, ökonomische und Verhaltensstörungen verursachen. Radiologische Waffen sind deshalb als Waffen ”of Mass Disruption“ zu charakterisieren.“

Th. Rockwell schrieb über eine Notfallübung in Washington kürzlich: ”Menschen, die nicht durch die konventionelle Explosion verletzt sind, sollten weggehen, sich ausziehen und duschen. Wenn öffentliche Risiken beseitigt werden sollen, sollte man verbleibende Radioaktivität in den Ausguss spülen. Das würde nur unwesentlich zur natürlichen Radioaktivität der Chesapeake Bay beitragen, welche teure Messgeräte noch eine Weile nachweisen könnten, aber es entstände keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung.“

Ansätze zu einer Radiophobie-Therapie

Es lohnt sich also aus vielerlei Gründen, über eine Therapie der Radiophobie-Epidemie nachzudenken. Die Beantragung weiterer Forschungsmittel für Biophysik und Strahlenbiologie zwecks Erforschung der bisher trotz erheblicher Anstrengungen nicht nachgewiesenen Risiken durch minimale Strahlendosen ist dazu nicht der richtige Weg. Vielmehr besteht Interesse daran, die Radiophobie zwecks Fördermittelbeschaffung und Arbeitsplatzerhaltung an Leben zu erhalten. Solche Mittel sind derzeit nur für Vorhaben zur weiteren Suche nach bionegativen Effekten verfügbar, womit die Erforschung der bekannten biopositiven Effekte mäßig erhöhter Expositionen zwangsläufig entfällt.

Zunehmende Lücken in der Versorgungssicherheit könnten zum Nachdenken über die deutsche Energiepolitik anregen. Der ökonomische Leidensdruck im Multimilliardenbereich durch steigende Stromkosten, die nicht zuletzt aus überzogenen Grenzwerten resultieren, hätte auch einen Einfluß auf einen Paradigmenwechsel in der veröffentlichten Meinung. Politisch blockierte Endlager, politisch gewollte Zwischenlager und überteuerte ”Alternativenergien“ sollten eigentlich zu nachhaltigen Veränderungen in der derzeit gepflegten Version von ”political correctness“ führen.

Wichtige Vorraussetzung für ein Umdenken sind entsprechende Initiativen der relativ wenigen, hinreichend unabhängigen und (im Gegensatz zu zahlreichen selbst ernannten Medienstar/Pseudoexperten) tatsächlich in ihrer wissenschaftlichen Reputation ausgewiesenen Fachleute. Solche Initiativen sind inzwischen in zahlreichen Ländern und Regionen der Welt zu beobachten:

  • Es gibt seit einigen Jahren einen Internationalen Rat der in der Nuklearindustrie Beschäftigten (WONUC) unter Vorsitz von A. Maisseu, Paris. Dies ist eine gewerkschaftsnahe NGO mit Mitgliedern in 17 Ländern, die im Abstand von zwei Jahren einen ”International Congress on the Effects of Low and Very Low Doses of Ionizing Radiation on Human Health“ organisiert. Der erste fand 1999 in Versailles, der zweite 2001 in Dublin und der dritte im Oktober 2003 in Teheran statt (Berichte in Strahlenschutzpraxis – SSP). Die nächsten Tagungen sind für 2005 in Kanada und 2006 in Budapest geplant.
  • J. Muckerheide (Mass./USA) gründete vor etwa einem Jahrzehnt eine informell strukturierte gemeinnützige internationale Vereinigung ”Radiation, Science & Health“ (RSH) deren Board of Direktors als deutsche Mitglieder L. Feinendegen und der Verfasser angehören. Als Zweck wurde definiert, „die wissenschaftlichen Daten zu sammeln, welche dem linearen Modell widersprechen; die Revision der ”radiation science policies““, Anwendung der Daten in einer Kosten/Nutzen-Analyse, und die Förderung einschlägiger Forschung.
  • RSH arbeitet eng mit E. Calabrese und seinem BELLE-Team (= Biological Effects of Low Level Exposures) an der School of Public Health der University of Massachusetts zusammen. Dort wird u. a. das ”International Journal NONLINEARITY in Biology, Toxicology, Medicine“ herausgegeben, das sich nicht nur auf Strahleneffekte beschränkt.
  • In Japan ist das ”Low Dose Radiation Research Center“ des Central Research Institute of the Electric Power Industrie (CRIEPI) ein Zentrum, das neben Forschungen in eigenen Labors Arbeiten in anderen Ländern wie Untersuchungen in Gegenden mit hoher natürlicher Radioaktivität und verminderter Krebshäufigkeit in China, den therapeutischen Einsatz von Ganz- und Teilkörperbestrahlungen bei Patienten zur Aktivierung der Reparatur und Immunosysteme usw. fördert.
  • Wissenschaftliche Vereinigungen artikulieren immer häufiger ihre Opposition zu den derzeit gültigen Dogmen und Grenzwerten. So äußerte sich die Französische Akademie der Wissenschaften in einer offiziellen Stellungnahme gegen die Übernahme der EU-Richtlinien in Frankreich, eine ähnliche Grundsatzerklärung der Health Physics Society liegt vor, und kürzlich forderte ein namhafter US-Wissenschaftler 7 zur Bekämpfung der Radiophobie, nicht zuletzt in Hinblick auf die möglichen Folgen von Nuklearterrorismus:
    • Aufklärung und Erziehung der Bevölkerung und Medien über die tatsächlichen Wirkungen kleiner Strahlendosen
    • Abschaffung der LNT-Hypothese durch die zuständigen Regierungsbehörden
    • Anpassung der gegenwärtigen Richtwerte für ”künstliche“ Strahlenquellen an den wissenschaftlichen Erkenntnisstand.

Deutschland als besonders schwieriger Fall?

Erfahrene Fachleute weisen immer wieder darauf hin, dass die Risikoakzeptanz keine Frage sachlicher Argumente, sondern von Emotionen ist. Um einen prominenten deutschen Energiemanager zu zitieren: „Die Leute denken nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Bauch. Wenn man schon nicht immer sicher ist über den Unterschied zwischen einer Million und einer Milliarde, hat man mit Wahrscheinlichkeitsanalysen bei kerntechnischen Sicherheitsfragen von 10–5 oder 10-6 nur wenig Erfolg in öffentlichen Debatten“.

Offensichtlich benötigen Länder mit bereits guter Kernenergie-Akzeptanz nur wenig aufklärende Öffentlichkeitsarbeit. In anderen Fällen setzen sich Nukleargesellschaften aktiv ein. So hat die ANS häufig Spezialveranstaltungen zum Thema der Wirkung kleiner Strahlendosen im Rahmen ihrer Tagungen durchgeführt. Auch auf dem ”2003 ANS/ENS International Winter Meeting“ am 17. bis 20.11.2003 in New Orleans fand am ersten Tag wieder eine Sitzung ”Low-Level Radiation Effects“ statt. Bei der ”2004 Pacific Basin Nuklear Conference“ sind vier Sitzungen dem Thema ”Adaptive Reponses Following Low-Dose Radiation Exposure“ gewidmet.

 

 

 

Abb. 1: Wirkungen hoher Dosis sind nicht auf die völlig anderen Mechanismen im Bereich kleiner Dosen übertragbar (nach 4 ). Der Schwellenwert, bei dem durch kleinere Dosen stimulierte biopositive Defensiv- und Reparatur-Mechanismen überfordert sind und in einen bionegativen Effekt übergehen, liegt je nach betrachtetem Effekt zwischen Ganzkörperdosen von etwa 0,2 und 2 Gy.

Inzwischen sind leider viele Kerntechniker karriere- und einkommensfördernd der Radiophobie verbunden. Eine Förderung von Vorhaben, welche die offiziellen Dogmen in Frage stellen könnten, ist praktisch ausgeschlossen. Die Verteidiger der wissenschaftlich inzwischen überholten Paradigmen schützen sich durch Auswahl von Gremienmitgliedern, selektivem Zitieren von Publikationen, passende Gestaltung von Tagungen, Forschungsmittelvergabe etc. sorgfältig und geschickt vor möglicherweise störenden Fremdeinflüssen. Für sie ist die Frage nach Schwellenwerten, Grenzwerten und Dosisgrenzen (Abbildung 1) bereits definitiv und für alle Zeiten durch LNT der ICRP beantwortet.

Eine denkbare Lösung der anstehenden Fragen wäre vielleicht eine deutsche Stiftung, welche Forschungsvorhaben, Publikationen und Veranstaltungen, durch die offizielle Paradigmen in Frage gestellt werden, unterstützt. Einer von vielen möglichen Ansatzpunkten wäre z. B. die sorgfältige Analyse der Gesundheitseffekte in der Bevölkerung in Gegenden mit erheblich erhöhter natürlicher Umweltradioaktivität im Erz- und Fichtelgebirge 6. Aber man kann es derzeit vielen älteren Kollegen nicht verübeln, wenn sie sich resignierend anderen Beschäftigungen zuwenden. Hier liegt eine der vielen ungenutzten Chancen der Energiewirtschaft, Kompetenz und Idealismus im eigenen gesamtwirtschaftlichen Interesse zu aktivieren.

Es wäre nützlich, den Meinungsmachern in den Medien und damit der Öffentlichkeit und Politik aber auch Ärzten, Lehrern und Pfarrern und anderen Meinungsmultiplikatoren besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Psychologisch/pädagogisches Einfühlungsvermögen, angereichert durch etwas Zivilcourage und Insistenz sind sicher wichtige Elemente für die Änderung der öffentlichen Meinung im Interesse einer realistischeren Strahlenrisikobewertung und Kernenergieakzeptanz. An einleuchtenden Argumenten fehlt es nicht, trotz des beklagenswerten deutschen Bildungsniveaus. Wie sagte kürzlich ein prominenter finnischer Kollege hinsichtlich der Akzeptanz eines neuen KKW: ”Vielleicht lässt sich das mit den Ergebnissen der PISA-Studie erklären?“

Anmerkung:

Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag des Verfassers am 28.5.2003 an der University of Massachusetts. Vielen Kollegen dankt er für Anregungen und Hinweise.

Literatur

K. Becker: One Century of Radon Therapy. Int. J. Low Radiat, im Druck
UNSCEAR Report to the UN General Assembly, 2000 (ISBN 92-1-142239-6)
K. Becker und E. Roth: Zur Wirkung kleiner Strahlendosen. atw 43/10, 616-620 (1998)
M. Pollycove und L. Feinendegen: Radiation-induced vs. endogenous DNA damage. Human Experiment.
   Toxicology 22, 290-306 (2003)
H.H. Brunner: Dreifrontenkrieg im Strahlenschutz? Strahlenschutzpraxis 1/99, 49-51
K. Becker: Health Effects of High Radon Environments in Central Europe: Another Test for the LNT
   Hypothesis? Nonlinearity in Biology, Toxicology and Medicine 1/1, 3 – 35 (2003)
Walsh, G.: Panel of Nuclear Terrorism. ANS/ENS Internat. Winter Meeting, New Orleans Nov. 2003
Th. Rockwell: Radiation chicken little. Washington Post, Sept. 16, 2003
9  “Scientific Basis for Communication about Events Involving Radiological Dispersion Devices”, ANS 2003
   (
http://store. ans.org oder scipubs@ans.org)
10 Geymour, G. and Mothersill, C.: Radiation and Irrational Fear, A Psychological Perspective. Int. Jour. of
   Low Radiation, 1/2 , 155-158 (2004)

Die vorstehende Arbeit wurde veröffentlicht in atw 49. Jg. (2004) Heft 3 – März, 177–180