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Satire: Schmu beim Ökostrom

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Satire: Schmu beim Ökostrom von Dr. Willy Marth vom 27.04.2008

Früher war Strom farblos und unsichtbar, denn er bestand aus fließenden Elektronen. Neuerdings gibt es grünen Strom, gelben Strom (von Yello), grauen Strom und sogar schmutzigen Strom. Die Spitzenqualität, gewissermaßen cru classé, bildet jedoch der Ökostrom, erzeugt aus erneuerbaren Energien. Sonderbarerweise ist dieser Bordeaux unter den Stromsorten schon relativ preiswert zu haben. Er kostet kaum mehr als herkömmlicher Strom, gelegentlich ist er sogar noch billiger. Die Stadtwerke Karlsruhe verkaufen diesen Premium-Strom für 19,64 cent pro Kilowattstunde und verlangen zusätzlich eine monatliche Grundgebühr von 7,74 Euro. Der normale Family-Tarif ist identisch, lediglich die Grundgebühr ist um 89 cent teuerer. Kein Wunder, dass viele Verbraucher zum Ökostrom überwechseln und sich damit ein gutes Gewissen verschaffen. Aber auch ganze Städte schwenken um und brüsten sich als vorbildliche Ökostrom-Kommunen. Beispielhaft genannt seien Speyer mit immerhin 50.000 Einwohnern, aber auch Kassel (200.000) und neuerdings sogar Nürnberg (500.000!).

Woher kommt dieser viele Strom? Im Internet bieten inzwischen schon an die 200 Erzeuger und Händler Ökostrom an. Und sie erklären das System in etwa so:
Da gibt es angeblich einen grossen Stromsee. In diesen speisen die Wasserkraftwerke. die Windräder, die Sonnenkollektoren und die sonstigen Erzeuger erneuerbarer Energien ein. Leider auch die schmutzigen Atom- und Kohlekraftwerke und die nicht so schlimmen Gas- und KWK-Kraftwerke, welche Graustrom liefern. Auf dem anderen Ufer des Sees wird der Strom entnommen und zu 73 % an die Industrie und zu 27 % an die Privatkunden verteilt.

Die Realität ist jedoch anders. Den Stromsee gibt es nicht, denn Strom wird naturgesetzlich in jedem Moment in dem Umfang erzeugt, wie er von den Verbrauchern angefordert wird. Und der Ökostrom wird dadurch auch nicht mehr. Zur Zeit werden 3,6 % relativ stetig über Laufwasser erzeugt, weitere - unstetige alternative Energie - sind der Wind (5,1 %), die Sonne (0,33 %) sowie die Biomasse (3,05 %). Mit diesen, großzügig gerechnet, 12 % an grünem Ökostrom kann man - dauerhaft - keine Großstadt versorgen. Oder doch?

Natürlich nicht, aber die Stromindustrie hat sich einen Trick ausgedacht. Und der heißt RECS, in Langschrift "Renewable Energy Certificate System". Mit Hilfe dieses cleveren Zertifizierungssystems ist es völlig legal, Atom- oder Kohlestrom in Ökostrom umzuetikettieren und umgekehrt. Ein Stromversorger kauft zum Beispiel an der Börse Strom vom Kernkraftwerk Biblis für 6 cent/kWh und "veredelt" ihn mit einem Ökozertifikat eines norwegischen Wasserkraftwerks, das aber nur 0,05 cent/kWh kostet. Der norwegische Betreiber soll dann im Gegenzug die entsprechende Menge seines Ökostroms in konventionellen Strom umetikettieren, was ihm aber keine Probleme bereitet, da seine Kunden sowieso nicht nach Etiketten fragen.

Nur auf diese Weise ist es möglich, dass in Deutschland ganze Städte, wie Kassel, von heute auf morgen komplett auf Ökostrom umsteigen können. Die Stadtwerke Kassel verkaufen natürlich physisch weiterhin ihren "Schmutzstrom" an ihre Kunden und kaufen lediglich ( für verhältnismäßig wenig Geld) RECS-Zertifikate ein. Diese belegen nichts weiter als, dass irgendwo in Europa die gleiche Menge Ökostrom hergestellt wird. Der Ökostrom für die Kasselaner ist also nur virtuell. Im Nachbarland Österreich reibt man sich schon verwundert die Augen darüber, dass ihr eigener Strom nicht mehr, wie gewohnt aus Wasserkraft, sondern zum Teil aus Kohle- und sogar aus Atomkraft stammt. Ade, atomfreies Österreich, die Abschaltung von Zwentendorf war vergebens.

Deutlich wird die Schlitzohrigkeit dieses Zertifizierungssystem, wenn man es auf den Kauf von Eiern anwenden würde. Angenommen, der Kunde kauft im Laden Bio-Eier, weil er die Käfighaltung der Hennen nicht unterstützen möchte. Zu Hause erfährt er jedoch, dass er in Wirklichkeit Käfig-Eier gekauft hat. Irgendwo in Europa wurde jedoch die gleiche Menge Bio-Eier produziert. Fast sein ganzes Geld geht jedoch an das System der Käfighaltung, nur einen Bruchteil davon erhält der wahre Produzent der Bio-Eier. Auch die RECS-Gebühren sollen an die Betreiber alternativer Energieanlagen gehen - aber tun sie das wirklich immer? Kein Wunder, dass die wenigen Stromversorger, welche sich nicht dem RECS-System angeschlossen haben, von Mogelpackung, Verschiebebahnhof oder gar Ökolüge reden. Nur wer direkt (und ausschließlich) an einem Wasserkraftwerk hängt, bekommt reinen Ökostrom. Alle anderen müssen sich damit trösten, dass die von ihnen verbrauchte Strommenge irgendwo in Europa erzeugt und verkauft wird.

Aber so neu ist dieses Umwandlungssystem gar nicht. Vor ca. 500 Jahren boten "Heilsversorger" in schwarzen Soutanen ihren Schäflein an, für einen kleinen Obolus ihre Seele in den Himmel zu befördern. Man erinnert sich: "Wenn das Geld im Kasten klingt..."

Der Ablasshandel ist wieder auferstanden.

Gepostet von Willy Marth unter 01:31 1 Kommentare Links zu diesem Post

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