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Radiophobie, ...

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Radiophobie, gibt es die noch?
Bericht von Prof. Dr. Klaus Becker, Berlin,
veröff. 02 2009

Wie Johannes Gross einmal in der FAZ anmerkte: “Rasende Wut kann erleben, wer sich einer Katastrophenhysterie entzieht; wer nach Tschernobyl nicht wahrhaben mochte, dass Milch und Pilz, Frucht und Kraut verstrahlt und lebensgefährlich seien; wer ein Ozondebakel mit klarem Kopf und Kreislauf überstand. So ähnlich muss der Hass gewesen sein, der früher einem entgegenschlug, der die Göttlichkeit Christi und die ewige Verdammnis leugnete.“ Noch nie ist ein technischer Unfall so gründlich untersucht worden wie der in Tschernobyl, und die Ergebnisse liegen nun nach zwei Jahrzehnten vor für jeden, der lesen kann und will – aber an dem Gesamtbefund hat sich Dank der weitgehend unveränderten Berichterstattung nichts geändert. Wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel, z.B.:

Der SPIEGEL äußerte sich kürzlich zum Thema “Legenden vom bösen Atom“ (SPIEGEL 47, 2007, S. 160-164). Leider ist es den von Ideologen unterschiedlicher Couleur geprägten deutschen Medien im Laufe der letzten Jahrzehnte gelungen, die „Atomangst“ tief im nationalen Bewusstsein zu verankern und zu einem zentralen Faktor der deutschen Klima- und Energiepolitik, zunehmend auch der Außenpolitik, zu machen. Die tragende Säule dieser inzwischen sehr tief liegenden und kaum noch hinterfragten antinuklearen Ressentiments ist und bleibt die Furcht vor den unermesslichen potentiellen Gesundheitsschäden durch ionisierende Strahlen, die durch beliebig hohe fiktive Zahlenangaben auf der Basis der Multiplikation von Null mit Unendlich untermauert wird.

Ich erinnere mich an eine Abgeordnete des Europäischen Parlaments, die bei der großen Wiener Konferenz “Chernobyl – Twenty Years After“ im Herbst 2005 in der Diskussion anmerkte, zu einer Jahrhundert-Menschheitskatastrophe fehlten doch noch einige Nullen an den verifizierten Zahlen. Erwartungsgemäß widersprach die Tschernobyl-Industrie in Ost und West, die recht gut von dem steten Geldfluss aus Brüssel etc. lebt, der durch gelegentliche Tartarenmeldungen kunstvoll am Leben erhalten wird. Wie man vom Konferenzpräsidenten J. Sowby inoffiziell hörte, ist jedoch leider unter politischem Druck trotz Protesten der überwiegenden Mehrzahl der Fachleute die vielzitierte Zahl der ominösen „geschätzten bis zu 4000 Langzeittoten“ in die Pressemitteilung geraten.

Vor diesem Hintergrund ist der weitgehend inhaltlich korrekte Artikel, der von Arbeiten über russische Unfälle ausgeht, trotz einiger terminologischer Schlampereien eine erfreuliche Lektüre. So wird berichtet, dass bisher durch Spätfolgen der Strahlenexposition in Hiroshima und Nagasaki 777 Menschen durch Strahlenschäden starben. In Tschernobyl waren es 47 Aufräumarbeiter und neun Kinder. Bei dem gravierenderen Majak-Unfall gab es 301 Lungenkrebsfälle, davon allerdings zwei Drittel durch Rauchen. Missgebildete Kinder oder genetische Schäden waren nicht nachweisbar. Übrigens: Wie man u.a. durch die Studien von A. Kellerer weiß, gab es auch keine Erhöhung der Leukämierate, und von Auswirkungen in größerer Entfernung, z.B. Westeuropa, kann infolge der niedrigen Dosen keine Rede sein. Und die ominösen „Leukämiecluster“ in der Nähe neuer militärischer und industrieller Anlagen, so auch kerntechnischen (z. B. Sellafield oder Elbmarsch), über immer wieder einmal öffentlichkeitswirksam berichtet wird, haben bekanntlich auch – falls überhaupt statistisch signifikant – ganz andere Ursachen.

Auf eine hier wenig bekannte Übersicht über den karzinogenen Effekt unterschiedlicher (vorwiegend medizinischer) Strahlenquellen von O. Gregoire und M. R. Cleland, Novel Approach to analyzing carcenogenic effects of ionizing radiation (Int. J. Rad. Biol. 82/1, 13-19) machte kürzlich D. Harder aufmerksam, der sich dazu wohl noch äußern wird. Durch eine neuartige Art der Analyse erhält man verblüffend einheitliche Daten für die unterschiedlichen Expositionsarten mit einem Schwellenwert um 100 mSv, und einem erheblichen Anstieg des zusätzlichen relativen Risikos als Funktion der Dosisleistung ab ca. 100 mSv/Tag.

Es stellt sich also wieder einmal die Frage, weshalb angesichts eindeutiger Faktenlage immer noch mit großer Mühe nach nicht nachweisbaren Strahlenschäden gesucht wird. Man darf wohl zu Recht vermuten, dass mit einem kleinen Teil des finanziellen und personellen Aufwandes, der im Laufe der letzten Jahrzehnte auf die Suche nach detrimentalen Strahleneffekten und Propagierung der Radiophobie verwandt wurde, auf anderen Gebieten sehr viel mehr Nutzen für die Volksgesundheit entstanden wäre.

Man denkt da an gesundheitsfördernde Strahlungseffekte, z.B. in der Radon-Balneologie, der optimierten Strahlenanwendungen in Medizin, Technik, Umweltforschung, Pflanzenzüchtung, Insektenbekämpfung usw. Allerdings wären dadurch wahrscheinlich die meisten der aufwendigen technischen und administrativen Strahlenschutzmaßnahmen, an die wir inzwischen weitgehend gewöhnt wurden, überflüssig. Auch verwirrende Absurditäten der verzweifelten Suche nach einer nicht vorhandenen Nadel im Heuhaufen a la Leukämiecluster, Plutoniumspuren im Hausstaub etc. sollten endlich unterbleiben. Für seriöse Strahlenschützer wäre trotzdem noch genug zu tun. Vor allem: Aufklärung tut Not!

Die vorstehende Arbeit wurde veröffentlicht in Strahlenschutzpraxis 1/2008