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Kernschmelzunfälle ...

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veröffentlicht 21.04.2011

Dr. Aloys Höld

Kernschmelzunfälle in Tschernobyl und in Fukushima.

Zwei prinzipiell verschiedene Ereignisse!

   Trotz einer fast rund um die Uhr Berichterstattung ist es der Presse nicht gelungen, die wesentlichen Unterschiede in den Kernschmelzunfällen in Tschernobyl (UsSSR/Ukraine) und in Fukushima (Japan) herauszuarbeiten. Fragen, wie ’Kann die radioaktive Wolke von Fukushima auch unser Land gefährden?’ deuten darauf hin, dass nicht einmal das Grundwissen über diese bedauerlichen Vorgänge den Reportern bewusst war und daher auch nicht weiter der Bevölkerung vermittelt werden konnte.

   Dabei sollte es klar sein: Bei dem Reaktorunfall in Tschernobyl handelte es sich um eine echte Katastrophe, heraufbeschworen durch eine unfähige Organisation (Dies schon im Vorfeld des Ereignisses, nämlich der Konstruktion, der Errichtung und des Managements sowohl im Betrieb der Anlage und vor allem für Falle möglicher Unfälle). Das Ereignis trat für die Betreiber vollkommen unerwartet ein, man hatte daher auch kaum irgendwelche Vorsorgen getroffen. Die Folgen, die radioaktive Verseuchung grosser Landstriche und eine Opferbilanz von bis zu 4000 Toten (Lt. einer eingehenden Studie u.a. der IAEA, FAO, der russischen und ukrainischen Atomenergiebehörden und entgegen den wilden Aussagen selbsternannter ’Experten’). Das waren aber auch die einzigen Toten, die bis jetzt in der Geschichte der Kernergie zu verzeichnen waren (Die Kernschmelzunfalle in Three-Mile-Island in Harrisburg und, bis jetzt, in Japan mit eingerechnet). Dabei erreichten alle (zurzeit 443) Kernenergieanlagen eine Gesamtbetriebsdauer von 13.925 Jahre (also rd. 7-mal die Zeitspanne zu Chr. G.). Natürlich kann man leichte, schwere oder sogar desaströse Unfälle auch in Zukunft nie ausschliessen, dass man aber davon unvorbereitet getroffen wird, schon.

   In Japan hatte man es dagegen mit einer Naturkatastrophe zu tun (mit einem Erdbeben riesigen Ausmasses und dadurch ausgelöstem Tsunami), mit entsprechenden Folgen für die ganze Gegend (und zigtausenden Toten), und eben auch Auswirkungen auf die rd. 54 japanischen Reaktoren..

   Katastrophen haben (neben den entsetzlichen Folgen) einiges gemeinsam. Eines davon ist, dass sie meistens völlig unerwartet auftreten. Es gab daher keine Vorkehrungen, um diese eventuell zu vermeiden oder zu vermindern oder, wenn unvermeidbar, die Auswirkungen auf ein erträgliches Mass zu begrenzen. Wer erinnert sich nicht an die furchtbaren Brandkatastrophen, wo manchmal halbe Städte abgebrannt sind, an Erdbeben, an den Bruch von Staumauern, an Pest- oder Seuchenepidemien, an Explosionen in Chemieanlagen, an den Untergang der Titanic, den Burgtheaterbrand, den Zwischenfall mit der Ölplattform im Golf von Mexiko, usw. Man war meistens unvorbereitet und musste mehr schlecht als recht improvisieren. Als Lehre wurden allerdings dann entsprechende, z.T. drastische Massnahmen getroffen, um solche katastrophale Vorgänge zu unterbinden. Wer kennt nicht die vielen Feuerwehrübungen, Eiserne Vorhänge in Theatern, Türen, die nur nach aussen zu öffnen sind, Notfallübungen auf Schiffen usw.

    Zu Zeiten der UdSSR hat (z.U. vom Westen) niemand daran gedacht, dass solch ein schwerer Reaktorstörfall je eintreten könnte. Während hier (zur Genehmigung der Anlagen) in aufwendigen jahrzehntelangen Studien alle denkbaren Szenarien eines möglichen Unfalls und dessen Folgen schon vorab durchgerechnet, analysiert und durchgespielt und danach entsprechende Sicherheitsmassnahmen eingeleitet wurden und werden, kannte man in Russland nicht einmal das hoch-instabile Verhalten des Reaktors im niederen Lastbereich. Man hatte sich die Sicherheitshülle (Containment) erspart, einen Bau um den Reaktor mit einer rd. 3 cm dickem luftdichten Stahlhülle (mehr kann man nicht schweissen) und rd. 2,5 m dicken Stahlbeton, um damit die Umgebung und die Allgemeinheit zu schützen. Im Westen dürfen nur Messungen beim An- und Abfahren des Reaktors, aber keine Versuche durchgeführt werden. Wenn notwendig, dann nur an eigenen, aufwendigen Versuchsständen. Nach dem Tschernobylunfall wurde fünf Tage lang weder das In- noch das Ausland, vor allem aber auch nicht die eigene Bevölkerung von dem Desaster informiert. Im Gegenteil, es fanden trotz des radioaktiven Ausfalls noch am 1. Mai Kundgebungen in Kiev statt. Während des Unfalls wurde nicht nur der Reaktor, sondern auch der gesamte Gebäudeteil eines der vier Reaktorblöcke zerstört. Durch die Besonderheit des graphitmoderierten RBMK Reaktors fing das Graphit Feuer und brannte, da man nicht wusste, wie man es löschen könnte, mit einer rd. 3 km hohen Säule tagelang. Zum Schrecken der ganzen Welt (da Leute oft Strahlung mit Gift gleichsetzen) wurde die radioaktive Wolke (zwar stark verdünnt) mit dem Wind über ganz Europa verbreitet. Auf eine Eindämmung des Unfalls war man natürlich überhaupt nicht vorbereitet. Es zeigte sich, dass man überhaupt keine Unfallpläne hatte, dass z.B. die eingesetzten Roboter total ungeeignet waren. Sie fielen sofort aus (die Drähte verschmorten in der Hitze). Es mussten sinnlos Soldaten und Hubschrauberpiloten in den Tod geschickt werden (47 Helfer sofort tot). Bilanz bis zu 4000 Tote.

    In Japan war, wie mittlerweile in allen (mehr als 31) Industrieländern, die Kernreaktoren betreiben, natürlich die Situation prinzipiell (!!) vollkommen anders. Man war sich selbstverständlich der Möglichkeit der Beschädigung von Reaktoren durch Erdbeben bewusst. Alle Reaktoren der Welt sind ja mittlerweile auf alle denkbaren Störfälle ausgelegt und die Betriebsmannschaft ist selbstverständlich auf entsprechende Krisen geschult. Auch wenn nach dem Jahrhundertbeben in Japan alle Gebäude um den Reaktor platt waren, hielten die Reaktorgebäude selbst diesem fürchterlichen Beben (9.0 Richterskala), und damit, obwohl nur auf 7,0 ausgelegt, einem aussergewöhnlichen ’Stresstest’ stand. Alle Reaktoren schalteten ordnungsgemäss ab. Natürlich fielen auch die Hauptstromquellen aus. Man muss sich bewusst sein, dass bei einer Kernspaltung Uranatome durch den Beschuss von Neutronen in ungefähr zwei gleiche Teile platzen können (entsprechend einer ’fission yield’ genannten Skala). Ein kleiner (instabiler) Teil dieser Spaltprodukte zerfällt (mit einer gewissen Halbwertszeit) allerdings auch nach Abschalten der Kettenreaktion weiter und erzeugt daher eine noch beträchtliche Nachzerfallswärme. Die Brennstäbe (meist eingebettet in Zirkoniumröhrchen) müssen daher ständig gekühlt werden, um die Gefahr einer teilweisen oder auch totalen Kernschmelze zu verhindern. Diese Kühlung erfolgt zunächst mit Hilfe der Hauptkühlmittelpumpen, die mit normalem Strom aus der eigenen Turbine oder von auswärts bespeist werden. Diese Stromquelle war aber nun ausgefallen. Damit im Falle des Ausfalls dieser Pumpen auch weiter gekühlt werden kann, sind normalerweise in den westlichen Reaktoren vier Notkühlstränge vorgesehen, mit vier ’redundanten’ Dieselmotoren, die unabhängig voneinander betrieben werden können. Fallen diese auch aus, dann kann Kernschmelze erfolgen. Diese kann dann zunächst aus dem Reaktordruckbehälter in den tiefsten Teil des Containments, dem Sumpf, durchbrechen. Diese superheisse Schmelze sollte natürlich in dem Containment gehalten und möglichst weiter gekühlt werden, solange, bis sie wieder erstarrt ist, wobei sich ein porzellanartiges Material bildet (deshalb ’China Syndrom’). In Fukushima gab es sträflicherweise nur zwei Notfallstränge und die wurden, wenn man den nur spärlichen Presseberichten folgen darf, aus den gleichen Tanks bespeist, waren also nicht redundant ausgelegt. Sie wurden dann während des nachfolgenden Tsunamis weggespült. Plötzlich gab es keine Kühlmöglichkeiten mehr. Noch dazu saugten die Pumpen unglücklicherweise auch noch Wasser auf, sodass sie vollends unbrauchbar wurden und auch später nicht mehr in Betrieb genommen werden konnten. Wenn diese Vermutungen zutreffen, werden die Betreiber von Tepco aber auch die Genehmigungsbehörden in grosse Erklärungsnot kommen. Dazu kamen noch die natürlich seit Jahrzehnten bekannten Probleme bei der Bildung von Wasserstoff, der bei Temperaturen um den Schmelzpunkt sich aus dem Zusammenspiel der heissen Zirkoniumlegierung und dem umgebenden Wasser entstehen können. Schon seit Jahrzehnten wird an verschiedenen Prozeduren gearbeitet (und diskutiert), wie man vermeiden kann, dass eine kritische Wasserstoff/Sauerstoff Konzentration erreicht wird, die dann zu Knallgasexplosionen und dadurch eventuell zu einer Beschädigung des Containments führen können. Auch hier scheint die Betriebsführung nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein. Trotz all dieser Widrigkeiten scheint das engagierte Auftreten der Betriebsmannschaft grössere Verluste verhindert zu haben. Bis jetzt scheint es in keinem der sechs betroffenen Fukushima Reaktoren Tote gegeben zu haben. Ein Resultat, dass im Vergleich zu dem Erdbebendesaster alle Achtung verdient. Da in Japan die Details dieses Unglücks viel sachlicher betrachtet werden, gibt es dort daher kaum Forderungen nach Schliessen aller Reaktoren. Man sieht auch ein, dass man da ja auch keine Wahl hat.

   9000 km weiter scheint dies nicht so nüchtern betrachtet worden zu sein. In Österreich wurde die Hysterie noch auf einen neuen Höhenpunkt getrieben. In Deutschland gab es eine ’Kernschmelze’ der Parteien (CDU/CSU, FDP) und einiger Landesregierungen sowie ein Umschwenken der Regierungspolitik. Es wurde sofort verfügt, sieben Reaktoren zunächst einmal für einige Monate stillzulegen. Dann allerdings merkte man sehr schnell, dass die Diskussion um Kernenergie doch noch, neben dem Fragen möglicher Auswirkungen eines Unfalls auf die Bevölkerung, einige weitere Aspekte aufweisen könnte. Fragen, die allerdings bei vernünftigen Menschen schon vor all diesen Aktionen hätten gestellt werden müssen. Darf man Anlagen einfach schliessen? Noch dazu, da diese immer auf den neuesten Stand aufgerüstet und daher über 25 Jahre erfolgreich und unfallfrei gelaufen sind. Dies beweist allein schon die kürzlich erfolgte Verlängerung der Betriebsgenehmigungen. Die Anlagen gehören ja schliesslich nicht der Regierung. Wer bezahlt dafür? Und womit ersetzt man die Strommengen, die bisher diese Anlagen produzierten? In Deutschland fand man die naheliegendste Lösung. Am besten man führt den (Atom)strom vom Nachbarn ein. Schon nach einer Woche 5000 MW (ung. 5 AKW-s) von Frankreich und Tschechien. Den Tschechen kann es nur recht sein. Sie wollen sowieso in Kürze noch 2 weitere Blöcke in Temelin errichten. Was macht man, wenn alle 17 Reaktoren dauerhaft stillgelegt werden sollten? Womit soll deren Stromproduktion ersetzt werden? Trotz der riesigen Fördermengen für Erneuerbare Energien (pro Jahr 14,4 Mrd. EU für Strom, den man an der Börse für 4,4 Mrd .hätte kaufen können), sind diese als Ersatz prinzipiell (!!) nicht möglich (da auch bei einer Verdoppelung der Windräder bei Windflaute kein Strom erzeugt wird). Ganz abgesehen von dem grossen Platzbedarf, der Unplanbarkeit, der geringen Verfügbarkeit (meistens nur rd. 1/10) und den riesigen Leitungskosten. Es bleiben ja dann wohl nur Gas- und Dampf- oder Kohlekraftwerke übrig (Russland exportiert gerne Gas, sie selber wollen allerdings bis 2030 bis zu 16 neue Kernkraftwerke bauen). Wie steht es um den Umweltschutzgedanken (wenn fossile Kraftwerke als Ersatz genommen werden müssen), wie mit der Versorgungssicherheit, der staatlichen Unabhängigkeit (Autarkie ist momentan in Österreich ein grosses Wort). Unangenehme Fragen für Fanatiker, die vorgeben, dem Schutz der Natur zu dienen. Politisch gibt es allerdings eine bewährte Methode, um diesen Problemen zu entgehen. Man schiebt nämlich deren Vollzug auf die lange Bank.

   Ein weiterer wichtiger Aspekt scheint bei dieser Diskussion überhaupt nicht beachtet zu werden. Nämlich der Zusammenhang der Energieversorgung mit dewr Entwicklung der Weltbevölkerung. Kernenergie ist neben den fossilen Energien und (in einigen Ländern) Wasserkraft eine der drei wichtigsten Säulen in der Weltenergieversorgung. Die FAO der UN schätzt das Wachstum der Weltbevölkerung von jetzt 6,7 auf rd. 9,2 Mrd. Menschen um die Mitte des Jahrhunderts (also um rd. 2,5 Mrd), 1,02 Mrd. Menschen hungern schon jetzt, 1 Mrd. Menschen hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 1/6 der Menschheit vegetiert in Slums. Wie wollen unsere moralischen Instanzen (Kirchen, Parteien, Journalisten) diese Hetze gegen diese Energieform rechtfertigen? Den Hungertod von Mrd. von Menschen und möglichen Kriegen vor Augen. Wann will man endlich von diesem Elfenbeinturm heruntersteigen und einsehen, dass Kernenergie zwar mit Risiken behaftet aber unverzichtbar ist? Wir müssen damit leben.

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