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veröffentlicht 21.01.2012
Dr. Alois Hoeld, 18.01.2012
Brief an Ministerpräsident H. Matthias Platzek
Brief von Dr. Hoeld an den Ministerpräsidenten Platzeck vom 18.01.2012. Dr. Hoeld war seit fast 50 Jahren in verschiedenen internationalen und nationalen Organisationen auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit tätig, zuletzt 34 Jahre bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in München.
An den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg Herrn Matthias Platzeck Heinrich-Mann-Allee 107 14473 Potsdam
(Bitte den Brief auch an Fr. Tacke weiterleiten)
Betr.: Äußerung von Frau Anita Tacke, Umweltministerin in Ihrer Regierung, zu dem Thema ’Bau von Kernkraftwerken in Polen in den VDI Nachrichten v. 13.1.2012 sowie Ergänzung zu den Briefen von H. Dr. Lindner zu diesem Thema
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Platzeck,
sehr geehrte Frau Umweltministerin Tacke
lassen Sie auch mich meine Verwunderung zu der Äußerung von Frau Umweltministerin Anita Tacke aussprechen:
- Diese zeigt wenig Respekt vor den Verdiensten der Kernenergie in den letzten 50 Jahren. Darf ich Sie daran erinnern, dass lt. New York Times 3/11 (Stand: März 2011) in 31 Ländern bereits rd. 443 Kernreaktoren in Betrieb waren, mit einer Gesamtbetriebsdauer von 13125 Jahren (also 7-mal die Zeitspanne zu Christi Geburt) ohne (!) Ausstoß von Treibhausgasen und ohne (!) einen einzigen Toten (Tschernobyl ist ein besonderer Fall, wie ich etwas später erläutern möchte). Wie würde unsere Umwelt ohne den Glücksfall Kernenergie aussehen? Wie viel Mill. t an CO2 wurden vermieden, wie viel Tonnen an fossilen Brennmaterialien konnten eingespart werden. Von den Opfern bei der Verwendung anderer Energiequellen gar nicht zu sprechen. Ist es der Frau Umweltministerin nicht möglich, trotz aller Ideologiebarrieren die geschichtliche Bedeutung dieser Energieform zu verstehen und zu würdigen?
- Bei der globalen Großenergieversorgung gibt es nur 3 Hauptsäulen: Fossile Energien, Kernenergie und (wo es die Landschaft zulässt) die Wasserkraft. Kernfusion kann erst in rd. 40 Jahren eventuell dazu stoßen. Photovoltaik und Windenergie zählen sicher nicht dazu. Sie sind eine ziemlich nutzlose Energieform und könnten nur durch die Verwendung von Speichern veredelt werden, die es aber in ausreichenden Mengen noch nicht gibt und in naher Zukunft nicht geben wird. Deren extreme Förderung ist daher eine reine Geldverbrennung, Geld, das nicht mehr erneuerbar ist. Bei einem Anstieg der Weltbevölkerung von (lt. FAO) jetzt 7,0 Mrd. auf (um die Mitte des Jahrhunderts) 9,2 Mrd. ist daher eine Diffamierung dieser 2. wichtigen Säule moralisch nicht zu verstehen. Wie will man diese Leute ernähren. Wobei jetzt schon fast eine Mrd. Menschen hungern, 1 Mrd. haben keinen Zutritt zu sauberem Wasser, 1,4 Mrd. haben keinen Stromanschluss, jeder 6. Mensch lebt in Slums usw.
- Aber auch national gibt es kein Industrieland, dass ohne KE auskommt. Schweden hat einmal mit großer Mehrheit im Reichstag den Ausstieg aus der KE beschlossen. Nachdem aber 2 von den 12 Anlagen abgeschaltet worden waren, ist die Stimmung bei der Bevölkerung gekippt. Sie haben gesehen, dass es keine Alternativen gibt und schmerzlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass einer der erfolgreichsten (aber auch blödesten) Sprüche ’KE-Nein. Danke’ durch ein ’ ,sondern ..’ ergänzt werden muss. Österreich hat immer offiziell gegen KE gekämpft, aber insgeheim bis zu 23% Atomstrom eingeführt (15-Jahresvertrag mit der Ukraine über Strom aus den 3 restlichen Blöcken aus Tschernobyl, auch aus Temelin in Tschechien, obwohl große Bauernproteste an den Grenzen organisiert wurden, und Grundlast aus Isar 1). Diesmal versucht es nun Deutschland, diesen Grundsatz zu widerlegen. Die Wende wurde nur durch einige Gesetze beschlossen. Vorkehrungen über die Auswirkungen wurden keine getroffen. Es werden nur (unter riesigen finanziellen und Beschäftigungsopfern) die hier abgeschalteten Reaktoren durch ein paar ausländische ersetzt. Man sieht, man wird sich hier in Kürze eine blutige Nase holen.
- Deswegen ist es auch überflüssig, die üblichen Fragestellungen vorzubringen, wie z. B.: Sind Reaktoren 99%-ig sicher, ist das Nuklearabfallproblem zufrieden stellend gelöst oder kann eine jahrzehntelange Verstrahlung nach einem Unfall vermieden werden. Und dann sagen, wenn nicht, dann keine Reaktoren. Die meisten Fragestellenden merken gar nicht, dass sie gar keine Wahl haben. Man kann ja auch nicht fragen, sind Stiegen ausreichend sicher. Oder das Autofahren, das Schwimmen usw. ohne Todesopfer auskommen kann. Man kann nur darauf drängen, dass diese so sicher wie möglich gemacht werden.
- Nun zu Ihren Aussagen, bei denen sie die Geschehnisse in Fukushima als Argument gegen (!!) die KE wenden. Wie kommen Sie darauf? Und was haben Sie für Berater? Es ist eher das Gegenteil der Fall. Fukushima war nicht, wie unsere ’Scientologen der KE’, Greenpeace oder Global 2000, behaupten, die größte Reaktorkatastrophe aller Zeiten. Katastrophal waren nur das Jahrhundertbeben und die überdimensionale Tsunamiwelle, die (nach neuestem Stand) rd. 19500 Todesopfer forderte. Für die japanischen Reaktoren war dieser ungewollte Stresstest im Gegenteil eine glänzende und erfolgreiche Bestätigung der in allen Reaktoren (außer Tschernobyl) angewandten Sicherheitsphilosophie. Es ist klar, dass sich einige der 443 Reaktoren in Erdbebengebieten befinden. Alle müssen (natürlich neben anderen möglichen Vorkommnissen und Störfällen) auch ausreichend gegen Erdbeben ausgelegt sein. Das wurde bei den japanischen Reaktoren glänzend bewiesen. Trotz dieses Jahrhundertbebens von 9,0 der Richterskala, wobei der japanische Kontinent horizontal um rd. 4,5 m nach Osten verschoben wurde (da bleibt kein Blumentopf stehen), haben sich alle in Betrieb befindlichen japanischen Reaktoren (obwohl nur auf 7,0 ausgelegt) wie vorgesehen abgeschaltet. Die meisten küstennahen Reaktoren haben (obwohl auf nur auf 4.5 m ausgelegt) die riesige Tsunamiwelle von rd. 15 m unbeschadet überstanden. Nur bei den 6 Blöcken von Fukushima I wurden (teils bedingt durch menschliche Fehler) die Ölbehälter weg geschlagen und die Notkühlversorgung außer Betrieb gesetzt. Es gab plötzlich weder Strom noch Kühlwasser, um die Kernreaktoren ausreichend zu kühlen, ein Alptraum. Wenn in einem Auto ein wichtiges Teil bricht, so kann es passieren, dass man sofort im Strassengraben oder an einem Baum landet. Bei einem Reaktor ist das nicht der Fall. Ein Reaktor ist ein ziemlich träges Gebilde (und keine Atombombe). Man sagt, die Operateure können nach einem Störfall noch ruhig ihr Kartenspiel beenden und nach einer halben Stunde beginnen nachzudenken, wie man dieses Problem lösen könnte (Bitte nicht wörtlich zu nehmen). Diese Eigenschaft macht es nun möglich, in die Sicherheitsphilosophie auch noch das so genannte Defensee-in-Depth Konzept’ mit aufzunehmen. D.h., man kann auch bei eventuell nicht berücksichtigten Ereignissen (und menschliche Fehler zählen dazu) die Folgen schwerer Unfälle auf ein Minimum begrenzen. Es gibt keinen Zweifel, dass bei dem Ereignisablauf in Fukushima I zahlreiche menschliche Fehler passiert sind. Trotzdem hat es die Betriebsmannschaft geschafft, diese dramatischen Tage ohne einen einzigen (nuklearbedingten) Toten erfolgreich zu überstehen. Ist es daher übertrieben zu sagen, gerade Fukushima I ist (bei allen Mängeln) ein hervorragender Beweis für die Wirksamkeit der in allen Reaktoren angewandten Sicherheitsphilosophie und nicht als Argument gegen den Betrieb von Reaktoren?
- Jedes technisches Gerät kann nur unter Beachtung wichtiger Sicherheitsmassnahmen betrieben werden. Wenn man Gasgeräte im Hause hat, ist es unvermeidbar, dass alle Jahre ein Rauchfangkehrer überprüft, ob die Gasleitungen richtig eingestellt sind. Der DWR Isar 2 liefert Tag und Nacht und anstandslos rd. 1400 MW Strom nach Bayern (nur einmal im Jahr abgeschaltet für 3 Wochen für Beladen und Sicherheitsarbeiten). Zum Vergleich: München und Umgebung (Industrie eingeschlossen) benötigt zwischen 700 und 1100 MW Strom. Ist es daher übertrieben zu fordern, dass auch Reaktoren (weltweit) sich gewissen Regeln unterzuordnen haben? Das war in Tschernobyl aber nicht der Fall. Hier wurde eindeutig bei der Auswahl des möglichen Reaktortyps geschlampt. Eine Voranalyse über mögliche Unfälle fand fast nicht statt. Ein Schichtleiter fungierte den Reaktor während des Abfahrens selbstherrlich zu einem Versuchsreaktor um, wobei ein Reaktorfahrer, der sich weigerte den Reaktor wieder hochzufahren, ausgetauscht wurde. Als dann der Unfall (gegen 1:30 früh) geschah, war man davon vollkommen überrascht: Man hatte keine Schutzmassnahmen geprobt und vorgesehen. Man wusste z. B. nicht, wie man die 3 km hoch brennende Graphitsäule löschen könnte. Zuerst durch Einwerfen von Sandsäcken und dann (was noch schlimmer war) von Bleiplatten. Besonders auffallend war die totale Unkenntnis über die riesige Strahlengefahr (während man in Europa vollkommen hysterisch auf das Ticken der Geiger-Müller-Zähler reagierte).Man schickte Feuerwehrleute, Hubschrauberpiloten, Photographen usw. total nichts ahnend in den Tod (5 Jahre vorher gab es den Kernschmelzunfall in Three-Miles Island, wovon aber wegen der noch nicht vorhandenen Perestrojka kaum jemand in der UdSSR Bescheid wusste). Am schlimmsten war es, dass trotz der 3 km hoch brennenden hochradioaktiven Graphitsäule der Bevölkerung von Pripjat noch 36 Stunden erlaubt war, in den Parks spazieren zu gehen. Erst dann wurden sie evakuiert, Tschernobyl erst nach einer Woche. Gorbatschow, der damalige Leiter des Politbüros, berichtete, es sei gegen 5 h früh von einem Mitglied der Akademie der Wissenschaften über den Unfall (nicht der Explosion) informiert und beruhigt worden, es bestehe überhaupt keine Gefahr (’Genauso gut könne man eine Kuh auf dem Kremlplatz stellen’). Erst Tage später sei er durch einen Anruf des IAEO Generaldirektors Blix über den Vorfall informiert worden. Trotzdem habe, lt. Gorbatschow, ein Mitglied des Politbüros mit seiner Familie ’und den Enkeln’ (als ob Enkel nicht zur Familie gehörten) noch 6 Tage später an einer Maidemonstration in Kiew teilgenommen. Wer würde bei einer solch gefährlichen Situation zu solch einer Feier seine Familie mitnehmen? In einem Vortrag kürzlich bei einer Konferenz in Slowenien hat ein russischer Professor, der bei der Bewältigung des Unfalls in Tschernobyl mit beteiligt war, in einem Vortrag einen Vergleich zwischen den Unfällen in Tschernobyl und Fukushima den Schluss gezogen, bei beiden lag ein menschliches Versagen vor. Das stimmt so nicht. In Tschernobyl lag eindeutig ein Versagen des Systems vor (auch wenn der verantwortliche Schichtleiter zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden ist). In Fukushima lag dagegen der Grund für diese Schwierigkeiten in der extremen Ausgangssituation. Es ist daher nicht einzusehen, dass die bis zu rd. 4000 Tote (laut IAEO/FAO etc. Studie) der Kernenergie angelastet werden.
- Gerade Polen hat bis jetzt fast 90 % seiner Stromproduktion aus Kohle bezogen, wobei z. T. noch einige uralte Dreckschleudern zur Anwendung gelangten. Gerade ein Umweltschützer müsste daher vor Freude aufjauchzen, wenn dieser unhaltbare Zustand durch den Bau von modernen Kernkraftwerken endlich beendet wird. Noch dazu, wenn beachtet wird, dass diese Stromquelle eventuell noch als Backup für eine Stromlücke in Deutschland zur Verfügung stehen könnte.
Soweit meine Kommentare. Danke für Ihre Geduld.
Mit besten Grüssen Dr. Alois Hoeld
P.S.: Ich bin und war seit fast 50 Jahren in verschieden internationalen und nationalen Organisationen auf dem Gebiet der Reaktorsicherheit tätig, zuletzt 34 Jahre bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Garching/München. Nun bin ich schon seit 11 Jahren in Pension, aber noch immer engagiert in einigen meiner Spezialgebiete, aber auch im Kampf um die Kernenergie (Z. B. mit Vorträgen über ’KE. Fluch oder Segen’ usw.). Für Rückfragen stehe ich Ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung.
E-Mail: a.hoeld@t-online.de
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